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Institut für
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Zusammenleben
Joachim Brohm – Ute Mahler – John Myers

13.09.2020 - 03.01.2021
Kunsthalle Darmstadt

Kurator: Ralph Goertz

 

Zusammenleben vereint fotografische Positionen von Joachim Brohm, Ute Mahler und John Myers aus den 1970er- und 1980er-Jahren, die auf ihre je eigene Weise den Menschen in den Mittelpunkt stellen.

 

"Die großen, etwa zur gleichen Zeit im Ruhrgebiet, in der DDR und in England entsandenen Zyklen fügen sich zu einem hier aufwendig inszenierten, dort nah und unmittelbar am Alltag der Menschen entwickelten [...] Blick auf parallele Lebenswelten."

Christoph Schütte, Frankfurter Allgemeine Zeitung

 

Zusammenleben. Joachim Brohm, John Myers, Ute Mahler

 

Den Ausgangspunkt bildet dabei die gleichnamige Serie Zusammenleben (1971-1988) von Ute Mahler, die vom Leben und Alltag in der DDR erzählt. Joachim Brohm wandte sich in seiner Ruhr-Serie (1981-1983) der Verwandlung der Ruhrlandschaft von einer einstmals prosperierenden Kohle- und Stahlregion in ein Freizeit- und Ausflugsziel zu. Der Brite John Myers richtete in seiner Serie Middle England (1970-1974) seine Kamera auf Menschen aus seiner unmittelbaren Nachbarschaft und zeichnet so ein Bild der englischen Gesellschaft zwischen Alltag und Beruf.

 

Die Ausstellung bringt auf den ersten Blick unterschiedliche künstlerische Standpunkte in einen Dialog und erlaubt Einblicke in das Zusammenleben von Menschen in der BRD, DDR und dem Vereinigten Königreich. Ohne die herrschenden politischen Systeme direkt zu thematisieren, liefern die drei Fotograf*innen eine ungeschönte, direkte, aber auch emphatische Betrachtung ihrer eigenen Um- und Lebenswelt und vermitteln dadurch ihre künstlerische Haltung dem Menschen und dem Medium gegenüber.

 

Die von Ralph Goertz konzipierte Ausstellung Zusammenleben findet im Rahmen der 11. Darmstädter Tage der Fotografie statt.

 

Joachim Brohm

Ruhr (1981–1983) gleicht der Bestandsaufnahme einer Region, die sich von einer einstigen Industriezone zu einem Freizeit- und Wohngebiet entwickelte. Entlang der Ruhr in Mülheim, Werden, Essen, Bochum oder Gelsenkirchen nahm er aus der Hand mit einer kompakten Plaubel 6x7 Mittelformatkamera Bilder für seine Diplomarbeit auf.

 

In Werken wie Bochum, 1983 zeigt er von einem erhöhten Standpunkt aus Menschen, die sich mit Zelten, provisorischen Grillplätzen und Schlauchbooten das Ruhrufer erobern und es in einen Ort der Freizeit umgestalten. Durch die leicht gekippte Vogelperspektive verteilen sich die Figuren gleichmäßig über die Bildfläche. Ihre Gleichberechtigung ist ist nicht nur formal interessant, sondern kann auch inhaltlich auf das beanspruchte Recht auf Freizeit bezogen werden. Die Bilder gleichen in dem Punkt den Menschenansammlungen in den frühen Fotografien Andreas Gurskys.

 

Joachim Brohm, Bochum, 1983 © Joachim Brohm und VG Bild-Kunst, Bonn 2020

 

Selten stehen einzelne Menschen so im Mittelpunkt wie die jugendlichen Besucher eines Freizeitbades in Gelsenkirchen. Brohm skizziert die Ruhrlandschaft als sozialen Treffpunkt mit einem Blick für das Detail sowie das Ganze.

 

Joachim Brohm, Ruhr-Serie

 

Joachim Brohm im Dialog mit Ute Mahler

 

Mit den Erfahrungen seiner Ruhrbilder im Gepäck reiste Joachim Brohm 1982 an die französische Atlantikküste. Seine dort entstandenen Serien Paradis I und Paradis II handeln wieder von der Flucht aus dem Alltag in eine anders reglementierte Form von Zusammenleben. In der Kunsthalle Darmstadt werden diese erstmals öffentlich ausgestellt.

 

In Paradis I schildert er das Strandleben als 7-teiliges Panorama. Menschen liegen in der Sonne, Kinder spielen, baden und genießen die schönste Zeit des Jahres. Gezeigt wird allerdings nicht nur die Idylle, sondern auch die Enge des Ortes, Beton und hohe Mauern. Utopie und Realität prallen aufeinander.

Ähnlich entlarvt Joachim Brohm eine nachkriegsmoderne Lebensutopie auch in seiner Serie Paradis II, in der er ein strandnahes Neubaugebiet (Bauprojekt „Le Paradis“ in der Gemeinde Fouras) in den Mittelpunkt seiner schon soziologisch anmutenden Untersuchung rückt. Die am Reiß-brett entworfenen Eigenheime fotografiert er menschenleer mit Details wie angerosteten Laternenpfählen und wucherndem Gestrüpp, als seien sie vielleicht nicht mehr oder noch nicht bewohnt.

 

Joachim Brohm, Paradis, 1982

 

"Höchst sehenswerte Ausstellung"

Christoph Schütte, Frankfurter Allgemeine Zeitung

 

Ute Mahler

Zwischen 1974 und 1984 fertige Ute Mahler Schwarz-Weiß-Aufnahmen vom Alltagsleben in der ehemaligen DDR, die sie in ihrer wohl bekanntesten Serie Zusammenleben vereinte. In der Kunsthalle Darmstadt wird diese um selten gezeigte Bilder aus den frühen 1970er- und späten 1980er-Jahren erweitert.

 

Ute Mahler, aus dem Zyklus «Zusammenleben», 1973, Aue © Ute Mahler

 

Die offizielle DDR, das staatlich reglementierte Leben in ihr, werden ausgeklammert. Wie zur Erinnerung daran zeigt Ute Mahler ein gerahmtes Fotoporträt Erich Honeckers an einer Zimmerwand schwebend über einem jungen Model, das sich gerade schminkt. Im Festhalten solch unerwarteter Begegnungen löst sich Ute  Mahler vom Dokumentarischen. Ihre Anordnungen von Männern, Frauen, Kindern, Freunden und Fremden können auch sinnbildlich für das Leben und die Verhältnisse in der DDR verstanden werden.

 

Ute Mahler, Zusammenleben

 

In ihren oft weitwinkligen Aufnahmen fängt Ute Mahler ein Kaleidoskop des Privaten ein, ganz gleich wo, auch im öffentlichen oder halböffent¬lichen Raum. Sie inszeniert nicht, sondern wartet auf den Moment, der sie, wie sie dem Kurator gegenüber einmal äußerte, selbst überrascht. Ihre Bilder vermitteln, schon in den Blicken, ebenso stark Gefühle von Distanz als solche von Nähe. Sie bringen Paarkonstellationen und Macht-hierarchien zum Vorschein. Oft ist es eine kleine Geste wie das Auflegen einer Hand auf das Handgelenk des Partners, die Ute Mahler einfängt. Sie zeigt uns aber auch ein ausgelassenes Leben, das es natürlich gab - und stellt es in einen Dialog mit der westdeutschen Freizeitgestaltung aus den Augen von Joachim Brohm.

 

Ute Mahler im Dialog mit John Myers

 

John Myers

Im April 1972 erwarb John Myers seine Gandolfi 4x5 inch Plattenkamera und begann mit einer ersten Serie von Porträts und Straßenaufnahmen in seiner Heimatstadt Stourbridge im Westen der West Midlands rund um Birmingham. Bekannt wurde er durch seine präzisen Straßenbilder und Porträts, bei denen er – ähnlich wie Bernd und Hilla Becher – aus-schließlich gleichmäßige Lichtverhältnisse nutzte.

 

In seiner ersten Veröffentlichung Middle England aus dem Jahre 1974 zeigte er 20 Porträts, die er in seiner unmittelbaren Nachbarschaft aufgenommen hatte. Anders als bei seinen zeitgleich entstandenen Straßen-, Landschafts- und Häuseraufnahmen, bei denen es seine Absicht war „die Weigerung dieser Umgebung anzuerkennen, eine visuelle oder narrative Verpflichtung anzubieten“ (Looking at the overlooked, Bristol 2019), setzte John Myers hier scheinbar unbedeutende Motive in Bezug zu individuellen Personen. So verraten uns die Einrichtungen bei Werken wie Mr. and Mrs. Seabourne oftmals etwas über die Gewohnheiten und Vorlieben der Menschen. Ihr Zuhause-Sein wird so thematisiert, auch wo Mr. Jackson vor einer ausnahmsweise einmal gegenstandslosen Kulisse verschmitzt lächelnd seine Zigarette hält.

 

John Myers, Mr and Mrs Seabourne, 1973 © John Myers

 

Bemerkenswert ist der konzeptionelle Ansatz, der wiederum an das Vorgehen von Bernd und Hilla Becher, aber auch August Sanders Menschen des 20. Jahrhunderts erinnert. John Myers fertigte nicht nur private Porträts seiner Nachbarn, sondern erhebt mit seinen Aufnahmen oftmals das Individuum auch zum Stellvertreter einer Klasse oder eines Berufszweiges.

 

John Myers, Porträt-Serie

 

John Myers im Dialog mit Ute Mahler

 

In seiner Serie Televisions, die John Myers 1973 schuf, kommt er über die Porträt- zur Stillebenfotografie, die er wieder konzeptionell angeht. Fasziniert von der Neuerung des in Massen produzierten Fernsehapparats – den man ebenfalls im Werk von Ute Mahler findet – nimmt Myers die unterschiedlichsten Ecken in den Blick, in denen die kompakten Geräte aufgestellt oder abgestellt waren.

 

John Myers im Dialog mit Joachim Brohm

 

Zusammenleben. Joachim Brohm, John Myers, Ute Mahler

alle Installationsfotos © IKS-Medienarchiv

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